Bewehrt und doch unendlich schutzlos. Von Ana Martins Marques

 

Übersetzer sind meine einzigen Helden, heißt es in einem meiner Gedichte, und das kommt der Wahrheit sehr nahe. Die Übersetzung, hat J. Salas Subirat einmal gesagt, „ist die aufmerksamste Form der Lektüre.“ Und eine aufmerksame Lektüre ist die größte Ehre, die dem Werk eines Autors zuteilwerden kann.

Als ich 2014 mit der brasilianischen Delegation zur Frankfurter Buchmesse fuhr, lernte ich Michael Kegler kennen. In der kurzen Zeit, die wir miteinander verbrachten, entpuppte sich Kegler, über den ich schon vorher gehört hatte, er sei ein ausgezeichneter Übersetzer und wichtiger Vermittler der brasilianischen Literatur in Deutschland, außerdem als wunderbarer Moderator von Diskussionsrunden, als zuvorkommender und großzügiger Gastgeber und vor allem als beste Gesellschaft, um zusammen Bier zu trinken und Zigaretten zu rauchen!

Übersetzung ist eine Form der Gastfreundschaft. Die Arbeit des Übersetzers besteht darin, den fremden Text in einer anderen Sprache willkommen zu heißen. Es geht nicht nur darum, den Sinn des Textes zu übertragen, sondern auch darum, den Text in der neuen Sprache zu beherbergen, ihn in seinem Anderssein und seiner Fremdartigkeit zu empfangen und manchmal sogar zuzulassen, dass dieses Anderssein und diese Fremdartigkeit in der Aufnahmesprache ihre Spuren hinterlassen.

Nachdem ich Kegler während der Reise nach Frankfurt als tollen Gastgeber erlebt hatte, zweifelte ich nicht im Geringsten daran, dass er auch ein großartiger Übersetzer ist.  Deshalb freute ich mich riesig über die Nachricht, dass er mich zur Teilnahme am Festival Latinale vorgeschlagen hatte und folglich meine Gedichte übersetzen würde. Seitdem tauschen wir uns über Emails aus, in denen Michael mir die Gedichte, die er schon übersetzt hat, zuschickt, Fragen stellt (eigentlich wenige, da er sehr gut Portugiesisch spricht) und eine unglaubliche Offenheit für die zufälligen Einfälle einer Person an den Tag legt, die wie ich eine weitreichende Unkenntnis des Deutschen besitzt.

In einer seiner letzten Mails schickte mir Kegler die Übersetzung eines Gedichts, in dem ein Dichter in einem Berliner Park einen verletzten Igel findet. Das Gedicht endet mit dem Bild, wie der Igel allein in einem Taxi, bewehrt mit seinen Stacheln und dennoch „unendlich schutzlos“ (wie Kegler es übersetzt hat), zu einer Tierschutzinstitution verfrachtet wird. Ich denke ähnlich von Gedichten, sie sind für mich wie Tiere, die gleichzeitig schwach und wild sind, ausgestattet mit Waffen und dennoch „unendlich schutzlos“. Wenn die Übersetzer sie willkommen heißen, geben sie ihnen nicht nur neue Waffen, sondern dienen ihnen, wie das Taxi im Gedicht, als Vehikel.

 

 

Übersetzt von Laura Haber